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Der Überraschungsmeister 2022 ist diesmal Favorit

Der Überraschungsmeister 2022 ist diesmal Favorit

Mit den "Finals" in Berlin im vergangenen Jahr verbindet Pascal Brendel ganz unterschiedliche Erinnerungen. Im Mehrkampf, erzählt der heute 19-Jährige, "habe ich damals viel verturnt". Doch am Pauschenpferd war das Mitglied der KTV Wetzlar in die Medaillenentscheidung "hineingerutscht" und kam überraschend als Deutscher Meister heraus. "Mit freiem Kopf" sei er damals an das Gerät gegangen, das wegen der großen Abstiegsgefahr als eine Art Schwebebalken der Männer gilt. "Die anderen Jungs waren damals eigentlich alle stärker als ich", sagt Brendel. "Ich dachte, es kommt sowieso nichts raus." Dass er dann gewann, weil viele patzten, sei "ganz lustig" gewesen. 

Es war das Debüt des in seiner hessischen Heimat schon lange als besonders bewegungsbegabt bekannten Turners bei den Männern. Wenn der Wehrheimer nun, bei der Neuauflage des Multisportevents "Die Finals" vom 6. bis 9. Juli, im Düsseldorfer PSD BANK DOME erneut nach nationalen Medaillen greift, tut er dies in einer ganz anderen Rolle. Nach seiner internationalen Meisterschaftspremiere bei der WM in Liverpool im vergangenen Herbst, als Brendel nach zwei Corona-Fällen erst ganz kurzfristig in die Riege des Deutschen Turner-Bundes (DTB) hineingerutscht war, durfte er bei den kontinentalen Titelkämpfen im April in Antalya an allen sechs Geräten vor die Kampfrichter treten, qualifizierte sich für das Finale der besten 24 Mehrkämpfer und beendete dieses auf einem unerwartet starken achten Platz. "Ein neuer Star ist geboren", kommentierte Bundestrainer Valeri Belenki dieses Resultat damals. 

Dauser muss auf die Belastung achten und die Finals auslassen

Während Brendel selbst betont, dass sich für ihn dadurch nichts verändert habe, sind die Erwartungen an ihn gestiegen. Bei den Finals wird der Vorjahres-14. als einer der Favoriten auf den Mehrkampftitel gehandelt, zumal Lukas Dauser, der zuletzt zweimal hintereinander den Titel gewann, seinen eigenen Start abgesagt hat. Der Olympiazweite am Barren hatte sich Ende 2022 einen Muskelbündelriss in der Schulter zugezogen. Nach einem Jahr "mit drei Höhepunkten innerhalb weniger Monate, DM, EM und WM, war die Belastung einfach zu groß", erklärt der in Halle trainierende Unterhachinger. "Diesen Fehler möchte ich nicht noch einmal wiederholen." Im Hinblick auf die WM Ende September/Anfang Oktober im belgischen Antwerpen, wo es für die deutsche Riege um die Olympiaqualifikation für die Spiele in Paris 2024 geht, habe er mit seinem Heimtrainer Hubert Brylok und Belenki entschieden, die Finals dieses Jahr nicht zu turnen. "Natürlich tut mir diese Absage extrem weh, denn ich hätte gerne den Hattrick im Mehrkampf in Düsseldorf gefeiert. Aber ich muss auf meinen Körper hören, um bei der WM wieder in Topform zu sein." Den Wettkämpfen in Düsseldorf werde er dennoch vor Ort beiwohnen, "weil dieses Event nicht nur für uns Athleten großartig ist, sondern auch als Zuschauer".

Angesichts der für ihn selbst dadurch wachsenden Chancen will sich Brendel trotzdem nichts ausrechnen und sich allein auf seine Übungen konzentrieren. An bis zu vier Geräten könnte er sie aufstocken, unter anderem am Reck drei Flugelemente in Verbindung zeigen, und die DM als Test für die dann folgenden beiden WM-Qualifikationen nutzen.  Sein erklärtes Ziel ist Paris, und dort will er auf olympischem Terrain nicht nur seiner Mannschaft bestmöglich helfen, sondern auch im Mehrkampf antreten. In der Schule hat er extra eine Pause eingelegt. Nach seiner Rückkehr von der WM war Brendel an Corona erkrankt; seine Fehlzeit verlängerte sich. Zahlreiche Klausuren hätte er dann nachschreiben müssen, und man einigte sich mit der Klassenlehrerin, das angestrebte Fachabitur erst nach den Spielen anzugehen. 

Brendel trainiert bei seinem Vater Matthias; ein Wechsel in einen Stützpunkt kommt für ihn nicht infrage. Er brauche die Familie um sich und Freunde, die nichts mit seinem Sport zu  tun haben. "Ich möchte manchmal einfach nur ein Jugendlicher sein", sagt er. Matthias Brendel hat seinen Job im Rettungsdienst aufgegeben und wird vom Hessischen Turnverband bezahlt. Parallel zu den etwa 30 Stunden, die er mit seinem Sohn in der Halle verbringt, absolviert er in Köln die Ausbildung zum Diplom-Trainer. Während der dortigen Präsenzphasen wird Pascal von Belenki in Stuttgart betreut. 

"Ich bin stolz darauf, dass mein Vater und ich es zusammen so weit gebracht haben", sagt er. Matthias Brendel hat selbst früher geturnt, "aber nicht auf so einem hohen Niveau". Dass er den eigenen Spross ausbildet, war ursprünglich nicht vorgesehen. Pascal wurde nach einer Sichtung bereits als Fünfjähriger ins Frankfurter Leistungszentrum eingeladen, entwickelte dort sehr gute Grundlagen und gewann erste Medaillen und Titel auf Landes- und nationaler Ebene. Doch vor fünf Jahren hatte ihm das Üben keinen Spaß mehr gemacht, weil sich durch die Pubertät Körper und Kopf veränderten und es zunehmend Probleme mit seinem damaligen Trainer gab. Erst übernahm Wolfgang Hambüchen, der Vater und Trainer von Reck-Olympiasieger Fabian Hambüchen. Doch auch weil dieser damals schon kurz vor der Rente gestanden habe, erschien Matthias Brendel längerfristig ein eigenes Engagement als beste Lösung. "Er verdient Respekt dafür", betont der Sohn. 

Wer genau hinsieht, wird, zumindest wenn er an Boden und Sprung die für diese Geräte obligatorischen kurzen Hosen trägt, etwas Neues unter diesen hervorblitzen sehen. Kurz nach der EM hat sich Pascal Brendel ein Tattoo am linken Oberschenkel stechen lassen. Die Walküre sei für ihn so etwas wie ein Schutzengel, erklärt er. Sie immer bei sich haben zu wollen, sei auch Folge eines schweren Autounfalls, den er und sein Vater unverschuldet im Januar 2022 auf dem Weg zum Training hatten und bei dem ihnen beiden mit sehr viel Glück nichts geschah. Kennengelernt hat Pascal Brendel das nordische Götterwesen beim Zocken im Internet; obwohl selbst nicht getauft, befasse er sich viel mit Glauben. 

Seine Rolle in der Nationalmannschaft sieht der Aufsteiger durch die jüngsten Erfolge im Übrigen genauso unverändert wie seinen Alltag. "Ich bin noch immer der kleine Chaot", sagt Pascal Brendel. Der, der "viel Mist im Kopf" hat und die anderen gerne zum Lachen bringt. Turnen soll, das ist ihm wichtig, trotz all der harten Arbeit Spaß machen. 

Tickets für die Deutschen Meisterschaften im Gerätturnen sowie für alle weiteren Wettbewerbe, die nicht kosten frei sind, gibt auf unserer Ticketseite: https://www.diefinals.de/inhalte/tickets-24

Redaktion: Katja Sturm

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